Stehender Mädchenakt von vorne, die Hände im Rücken

Gustav Klimt

Wien 1862 - 1918 Wien

Stehender Mädchenakt von vorne, die Hände im Rücken

Studie im Zusammenhang mit "Die Freundinnen II"

Bleistift auf Papier

57 x 37,5 cm

Rechts unten Stempel: GUSTAV / KLIMT / NACHLASS

Strobl WV Nr. 2787

Provenienz:

aus dem Nachlass des Künstlers
Privatbesitz, Wien

Literatur:

Alice Strobl, Gustav Klimt, Die Zeichnungen 1912-1918, Bd. III, Salzburg 1984, Abb. S. 167, WV Nr. 2787

In seinem Gemälde „Die Freundinnen II“ (1916/17) spielt Klimt die Gegensätze zwischen den beiden aneinander geschmiegten Frauen raffiniert gegeneinander aus. Die linke Figur ist zum Großteil nackt und erscheint mit ihren sinnlichen Körperformen und ihren weit geöffneten, neugierig blickenden Augen als Inbegriff der blühenden Jugend. Wesentlich reifer und distanzierter wirkt ihre Partnerin, deren Körper sich völlig unter dem strengen Dreieck ihres roten Gewandes verbirgt.
Klimts zeichnerische Vorbereitungen erstreckten sich vermutlich von Anfang 1915 bis Ende 1917 und konzentrierten sich zum Großteil auf die nackte Gestalt (Strobl III, Nr. 2755-2843; IV, Nr. 3712-3721). Während das Figurenpaar im Gemälde leicht unterhalb der Körpermitte vom Bildrand überschnitten wird, wird Klimt in seinen zahllosen Studien nicht müde, die schwungvollen Umrisse der nackten Modelle, die er zumeist einzeln, aber manchmal auch in Zweier- oder Dreiergruppen wiedergibt, in ihrer vollen Länge auszukosten. Immer wieder fixiert er seine Figuren in der Fläche, indem er sie oben und unten von den Blatträndern leicht fragmentieren lässt. Ein einzigartiges Spannungsverhältnis zwischen strenger Flächengebundenheit und frei fließenden Umrisslinien ist das Ergebnis.
Ein schönes Beispiel für diese große Gruppe ist die hier gezeigte Studie, in der Klimt versucht, die aufrecht Stehende durch die am Rücken gehaltenen Hände noch gestreckter erscheinen zu lassen und – charakteristisch für seine späten Jahre – manieristisch in die Länge zu ziehen. Brüste, Schulter- und Hüftlinien folgen einem durchgehenden Wellenrhythmus; mit expressiven, mehrfach unterbrochenen Bleistiftlinien erkundet Klimt zunächst die Körperumrisse, bevor er die erotisch signifikanten Stellen durch kräftige Akzente belebt. Auf faszinierende Weise offenbaren sich auch in dieser späten Arbeit die inneren Widersprüche seiner Zeichenkunst: Der weibliche Körper bietet sich verführerisch dar, scheint aber gleichzeitig in kosmischer Leere zu verharren. Zudem verweist der introvertierte Gesichtsausdruck des Modells auf den Umstand, dass in Klimts erotischen Zeichnungen der Aspekt der Vergeistigung fast immer mitschwingt.
Marian Bisanz-Prakken