Unbekleidete und Bekleidete Frau nach Links Stehend

Gustav Klimt

Wien 1862 - 1918 Wien

Unbekleidete und Bekleidete Frau nach Links Stehend

Studie zu dem Gemälde Freundinnen I

Roter und blauer Farbstift auf Papier

55,1 x 34,9 cm

Links unten Stempel: GUSTAV / KLIMT / NACHLASS

Strobl WV Nr. 1926

Provenienz:

Privatsammlung Kammersänger Professor Anton Dermota, Wien
Galerie Daxer & Marschall, München

Ausstellungen:

Wien, Albertina 1962, Nr. 126

Literatur:

Alice Strobl, Gustav Klimt. Die Zeichnungen. Bd. II: Die Zeichnungen 1904-1912, Salzburg 1989, Abb. S. 225, WV Nr. 1926

Seit Klimts frühesten, 1903/04 gezeichneten Studien für die Gemälde „Wasserschlangen I“ und „Wasserschlangen II“ (beide 1904-1907) zieht sich das Motiv der weiblichen Zweier- oder manchmal auch Dreierkonstellationen durch sein ganzes zeichnerisches und malerisches Œuvre; die Modelle sind praktisch immer anonym. Thematisch spannt sich der Bogen von explizit erotischen Darstellungen bis zu modisch gekleideten Frauenpaaren. Letzteres ist der Fall im schmalen, hochformatigen Gemälde „Freundinnen I“ („Die Schwestern“, 1907), in dem die frontal fixierte Gestalt eines scheinbar reiferen, leicht in sich gekehrten Modells, dessen Antlitz von einer maskenhaften Flächigkeit gekennzeichnet ist, von der Profilfigur einer lebhaft blickenden jungen Frau – auffallend sind die rötlichen Haare und die Stupsnase – überlagert wird. Dieses für Klimt charakteristische Spiel mit den typologischen Kontrasten manifestiert sich bereits innerhalb der zeichnerischen Vorbereitungen, so auch in der hier präsentierten Zeichnung einer unbekleideten und einer bekleideten Frau. Die Gegensätze sind hier allerdings anders gelagert. Im Vordergrund steht die in ihrer Stellung streng kontrollierte, völlig bekleidete Dame mit breitem Hut, von der die nackte Gesellin teilweise überlagert wird. In dieser sparsam und monumental angelegten Zeichnung, in der die roten Linien dominieren, ist alles auf interaktive Effekte ausgerichtet.
Im engen Nebeneinander der Gesichter betont Klimt das lebhafte Zur-Seite Blicken des nackten Modells; demgegenüber steht die streng verschlossene, durch blaue und rote Akzente verstärkte Mimik des Profil-Antlitzes. Weiter unten lässt Klimt das kräftig akzentuierte Schamhaar der Unbekleideten mit dem den verborgenen Schambereich gleichsam schützenden Händepaar der Bekleideten in einen rhythmischen Dialog treten. Nicht zuletzt spielt Klimt die sinnlich belebten Umrisslinien der nackten Körperformen und die streng geschlossenen Konturen der modisch bekleideten Gestalt wirkungsvoll gegeneinander aus. Wie Alice Strobl bemerkt, weist diese Kombination von unbekleidetem und bekleidetem Modell bereits auf das Bild „Freundinnen II“ (1916/17) voraus.1 Einmal mehr erweist sich das Medium Zeichnung als unbegrenztes Experimentierfeld, in dem Klimt – weit über die unmittelbare Vorbereitung seiner Gemälde hinaus – die
verschiedenen formalen und psychologischen Aspekte seiner Grundthemen in autonomen Schritten erkundet.
Marian Bisanz-Prakken
1 Alice Strobl, Gustav Klimt. Die Zeichnungen 1904-1912, Bd. II, Salzburg 1982, S. 218