Liegender Halbakt nach Links

Gustav Klimt

Wien 1862 - 1918 Wien

Liegender Halbakt nach Links

Studie im Zusammenhang mit dem unvollendeten Gemälde "Die Braut"

Bleistift auf Papier

37,4 x 57 cm

Rückseitig Klebeetikett: 1964 / 0918

Strobl WV Nr. 3007

Provenienz:

Prof. Dr. Walter Zettl, Wien

Literatur:

Alice Strobl, Gustav Klimt. Die Zeichnungen. Bd. III: Die Zeichnungen 1878-1918, Salzburg 1989, Abb. S. 219, WV Nr. 3007

In Klimts rätselhafter Allegorie „Die Braut“ (1917/18, unvollendet) setzen sich drei unterschiedliche Hauptelemente klar voneinander ab. In der Mitte zeigt sich, hoch aufgerichtet, die schlafende, mädchenhafte Brautgestalt. Links von ihr überlagert ein bunter Knäuel üppiger Frauenfiguren, die sich in einem unbestimmten Schwebezustand befinden, einen Mann in einem langen Gewand. Im rechten Bildbereich zeigt sich das mysteriöse Fantasiebild einer schwebenden Mädchenfigur mit gespreizten,
tanzartig erhobenen Beinen. Mit diesem späten Hauptwerk verbindet sich eine umfangreiche Gruppe von Aktzeichnungen, die eine große Spannweite an Frauentypen, Körperstellungen und erotischen Stimmungen aufweist (Strobl, Bd. III, Nr. 2793–3093, 3094–3105 (Skizzenbuch); Bd. IV, Nr. 3731–3741). Die vorliegende Arbeit entstand
im Kontext des linken, den weiblichen Versuchungen gewidmeten Bildteils, der von einem rundlichen Körpertypus dominiert wird. Doch während die dort zusammengeballten Frauen von bunten Tüchern umwirbelt werden, die eine ganze Reihe selig verträumter oder verführerisch blickender Gesichter und sinnlicher Körperfragmente freilassen, konzentriert Klimt sich in seinen Zeichnungen auf die ganze oder teilweise beobachteten Figur. Um die fülligen Körperformen der Modelle optimal erfassen zu können, ließ er diese in komplizierten, gewundenen Stellungen posieren. Bei dieser Tätigkeit setzte Klimt seine einmaligen zeichnerischen Fähigkeiten dazu ein, um dem Wesen
seiner Figuren auf den Grund zu gehen und ihre Symbolik zu verinnerlichen, wie die vorliegende Arbeit treffend vorführt. So scheint das leicht schräg liegende Modell ganz rechts aus dem Nichts aufzutauchen und gewichtslos an uns vorbei zu schweben. Charakteristisch für Klimts späten Zeichenstil ist der extreme Kontrast zwischen der scharfen, gewellten Kontur des gewundenen Oberkörpers und dem wilden Linienspiel des zerknitterten, die helle Nacktheit teils verdeckenden Tuchs, von dem auch das Gesicht umschmeichelt wird. Letzteres besticht durch die geheimnisvolle Mimik der geschlossenen Augen und des verzückt lächelnden Mundes, der ebenso wie die Konturen des zur Seite gestreckten Oberarms durch dunkel akzentuierende Linien belebt wird. Dass Klimt dabei ein intimes Detail wie die Achselhöhle in den Fokus rückt, zeugt von seinem besonderen Blick für das scheinbar Unspektakuläre. Für sich genommen präsentiert sich diese beeindruckende späte Arbeit als Inbegriff einer sich selbst genügenden, selig in sich ruhenden Sinnlichkeit.
Marian Bisanz-Prakken