Untitled

Bruno Gironcoli

1936 Villach - 2010 Vienna

Untitled

Metal powder paint, Indian ink and mixed media on grid paper on hardboard

106.8 x 145 cm (sheet)
114 x 160 cm (hardboard)

Signed lower centre: B. Gironcoli

Literatur:

cf. Exhibition catalogue, "Bruno Gironcoli. In der Arbeit schüchtern bleiben", ed. by Manuela Ammer, Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig Vienna, Vienna 2018, ill. p. 136ff

1975/76 schafft der Bildhauer Bruno Gironcoli eine großformatige Skulptur mit einer ungewöhnlichen Altarkonstruktion – ähnlich jenem Möbelelement, das auch in der vorliegenden Papierarbeit eine zentrale Rolle einnimmt: Ein Tisch mit zwei darauf thronenden Klosetts. Gironcolis Papierarbeit mag man auf die erwähnte Skulptur bezogen sehen – auch weil er in beiden Arbeiten leuchtendes Gelb verwendet: So erprobt er mit expressivem Pinselstrich den grellgelben Farbeinsatz im linken Bildteil der Grafik. Die Skulptur wiederum ist vollständig in Gelb getaucht. Zu greller Farbe greift der Künstler, der üblicherweise metallische Oberflächen bevorzugt, selten – vermehrt erst in seinen Malereien der 1980er Jahre.
Skulptur und Papierarbeit sind allerdings als eigenständige Arbeiten zu betrachten, fügt er dem Alter-ähnlichen Tisch doch jeweils unterschiedliche Figuren und Gegenstände hinzu, die Assoziationen und Interpretationen in verschiedene Richtungen zulassen.
Die kompakten Klosett-Formen verwendet Gironcoli in Papierarbeiten seit den späten 1960er Jahren. Er platziert sie auf Bänke, Tische oder auf Lattenrost, sich wie Sphinxen einander gegenüber stehend, den Eingang eines Heiligtums zu bewachen scheinend. Der Künstler attribuiert Sessel, Ähren, Kämme, Sicheln, Herzen, Madonnen oder diverse Figuren aus seinem unerschöpflichen Modulvokabular, das immer neue Kombinationsmöglichkeiten anbietet.
Auf kariertem, Struktur gebendem Linienspiegel komponiert er eine seiner charakteristischen, bühnenhaften Szenen, die grotesk und surreal, aber auch überaus lebendig wirken, was einerseits auf die skizzenhafte Optik, die expressiven Pinsel- und Tuschespuren, sowie auf die glänzende Metallfarbe und deren Materialität zurückzuführen ist, andererseits auf die Bewegung implizierenden Figuren – auf die ihre Gliedmaßen verrenkenden Säuglinge und die kauernde, Anzug tragende Rückenfigur, die in Gironcolis Arbeiten seit den 1970er Jahren auftaucht und angelehnt an eine Romanfigur Samuel Becketts als Murphy, Robert oder als Lehrling bezeichnet wird. (vgl. hierzu Christian Reder in: Bruno Gironcoli. Die Ungeborenen, Ausst.-Kat. MAK, Wien 1997, S.109)
Die Figuren klammern sich schier krampfhaft an die Gegenstände und Möbelstücke, zwängen sich an und zwischen die Dingwelt, mit der sich Gironcoli seit Anbeginn seines Schaffens eng auseinandersetzt – die kapitalistische Gesellschaft reflektierend, deren Sein sich über Dinge und Waren definiert, und beeinflusst von Sartres Existenzialismus-Kategorie der “Verdinglichung” des Seins (vgl. Hierzu Manuela Ammer in: Bruno Gironcoli. In der Arbeit schüchtern bleiben: Arbeiten auf Papier, Ausst.-Kat. Mumok, Köln 2018, S.22). Figur und Gegenstand finden bei Gironcoli zu einer Vereinheitlichung, mutieren zu gleichwertigen Motiven, die für den Künstler in seinen das Dasein und seine Weltsicht beschreibenden Arbeiten, variabel einsetzbar sind, sich wiederholt der universellen, vielfältigen und unendlichen Erzählstruktur, die seinem Schaffen innewohnt, fügen. (Isabell Kneidinger)